Macho Joe

"Der Rüberbringer" von Tankred Lerch, Beltz & Gelberg, 304 S., 14,95 Euro (ab 15 J.)

Red hat sich umbringen wollen – doch nicht mal das richtig hingekriegt. So jedenfalls sieht Red die Sache hinterher. Der 16-Jährige hat kaum Selbstwertgefühl und reißt Witze über sein permanentes Versagen. Schon auf den ersten Buchseiten wird klar: Dieser Roman schlägt einen speziellen Erzählton an. Ironisch, rotzig, frech – ganz anders, als man es bei dieser Problematik erwarten würde.

In der psychiatrischen Abteilung, wo Red nach seinem Suizidversuch landet, taucht plötzlich Joe auf. Die beiden befreunden sich, Joe gibt Red Ratschläge und gewinnt immer mehr Kontrolle über ihn. Dass niemand außer Red Joe sehen kann, irritiert Red nur unwesentlich. Denn Joes Tipps helfen meist weiter. Red besorgt sich endlich angesagte Klamotten, kommt neuerdings gut beim anderen Geschlecht an und baut ein ehrlicheres Verhältnis zu seiner Familie auf.

Gewiss will „Der Rüberbringer" Depression weder erklären noch kurieren, dennoch stellt sich mit zunehmenden Verwicklungen immer mehr die Frage: Was will der Roman überhaupt? Vermutlich einfach nur anar-chisch unterhalten. Weil Joe als reines Hirngespinst Narrenfreiheit genießt, darf er alles aussprechen, egal wie respektlos und sexistisch es ist. Seine Lebensweisheiten laufen im Grunde auf „Sei ein Macho!" hinaus – und die Masche funktioniert.

Am Ende findet Tankred Lerch noch einen Dreh, um die Handlung, die ohnehin schon als Phantasiekonstrukt definiert war, noch-mals zu brechen und augenzwinkernd zu fragen: Wer weiß, vielleicht war alles auch ganz anders? Doch auch dieser Kunstgriff rettet die Angelegenheit nicht. Mit ein paar Kalenderweisheiten gaukelt der Roman Tiefe vor, hat aber über weite Strecken nur eine Ansammlung von Kapriolen zu bieten und wird dem anspruchsvollen Thema Depression nicht gerecht.

Udo Bartsch