Buch
 

„Schlafen wir zu wenig, werden wir dumm!“

Warum wir schlafen - Albrecht Vorster

Interview mit dem Tübinger Schlafforscher Albrecht Vorster zu seinem Buch „Warum wir schlafen"

Heyne-Verlag, Klappenbroschur, 416 Seiten, 50 s/w Abb., 18 Euro

Er will mit Schnecken dem Schlaf auf die Spur kommen. Derzeit promoviert Albrecht Vorster, 34, am Institut für medizinische Psychologie der Uni Tübingen über Gedächtnisbildung im Schlaf der Meeresschnecke Aplysia. Den Elfenbeinturm der Forschung hat er zeitweilig verlassen, und präsentiert nun mit seinem gut 400 Seiten starken Buch „Warum wir schlafen" ein umfangreiches Kompendium zum Thema Schlaf. Kein üblicher Ratgeber zum Einschlafen, wissenschaftlich und unterhaltsam gleichermaßen, geht es um die biologischen Grundlagen, um Träume, um Schlafwandler, das Schnarchen und den großen Nutzen von gutem Schlaf: Eine Reise in den unbekannten Teil des Lebens, womit der Forscher bei etlichen Science-Slams sein Publikum bereits begeisterte. Mit dem Schlafforscher unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Herr Vorster, wird man mit diesem Beruf zum Small-Talk-König auf jeder Party?
Vorster: Schlaf ist ein ganz unverfängliches Thema und damit geradezu ideal für Small-Talk. Jeder kann etwas beitragen, alle sind davon täglich persönlich betroffen. Wenn Menschen über ihre Träume sprechen, sind das meist recht interessante Geschichten. Auch im Alltag ist das ständig Thema: „Hast du gut geschlafen?" ist bei vielen die erste Frage des Tages.
Doppelpunkt: Oft lautet die Antwort „Schlecht geschlafen". Ist das bereits bedenklich?
Vorster: Es besteht ein großer Unterschied zwischen bisweilen schlecht schlafen und einer veritablen Schlafstörung. Gelegentlich schlecht zu schlafen auch über zwei Wochen ist vollkommen normal und nicht behandlungsbedürftig. Behandlungsbedürftig sind Schlafstörungen erst wenn Menschen länger als einen Monat häufiger als dreimal in der Woche Schlafprobleme haben. Diese Menschen fühlen sich gerädert, das ist extrem zermürbend. Nicht umsonst zählt Schlafentzug zu den gängigsten Foltermethoden.
Doppelpunkt: Was genau passiert dabei?
Vorster: Wer nicht genügend Schlaf bekommt, wird unglaublich dünnhäutig und emotional unausgeglichen. Der ganze Körperstoffwechsel gerät aus dem Gleichgewicht. Nach einigen Tagen dreht der Körper richtig am Rad.
Doppelpunkt: Albert Einstein soll 14 Stunden pro Tag geschlafen haben. Napoleon brauchte 4 Stunden Schlaf. Was raten Sie?
Vorster: Wie viel Schlaf der Mensch braucht, ist eine ganz müßige Frage. Es gibt welche, die sehr viel Schlaf benötigen, andere kommen mit wenig aus. 90 Prozent der Menschen brauchen zwischen sechs und neun Stunden Schlaf. Eine generelle Empfehlung lässt sich daraus nicht ableiten, weil das so individuell ausfällt wie bei einem T-Shirt. Den meisten passt die Größe M oder L, einige wenige brauchen S oder XXL.
Doppelpunkt: Schlafstörungen gelten als Volkskrankheit. Warum ist das so? War früher alles besser?
Vorster: Schlaf gehört zu den wenigen Dingen, die wir nicht willentlich steuern können. Schlafen kann man nicht wollen, im Gegenteil: Er überkommt uns. Wenn wir den ganzen Tag ständig alles kontrollieren, haben wir nachts das Problem, loszulassen und zu entspannen. Generell ist es allerdings nicht so, dass sich unser Schlafverhalten in den letzten hundert Jahren so dramatisch verändert hat, wie es häufig darstellt wird. Bei einer Studie über drei Naturvölker wurden festgestellt, dass alle weniger und zudem nach objektiven Kriterien sogar schlechter schliefen als der durchschnittliche Deutsche. Dennoch existierte in deren Sprachen gar kein Ausdruck für Schlafstörung, nächtliches Aufwachen gilt als ganz normal und das ist es auch! Unser Schlafstruktur ist sogar darauf angelegt, dass wir mehrmals nachts aufzuwachen. Wir machen uns nur zu viele Gedanken darüber!
Doppelpunkt: Gleichwohl hat der Mangel an Schlaf gesundheitliche Folgen.
Vorster: Problematisch wird es, wenn der Schlaf über längere Zeit massiv verkürzt wird. Wer acht Stunden Schlaf benötigt, aber nur fünf Stunden schläft, bekommt die Folgen zu spüren. Schichtarbeit ist nachweislich extrem gesundheitsschädlich. Übergewicht, Krebs oder Depressionen sind oft die Folge. 40 Jahre Schichtarbeit kosten sechs bis acht Lebensjahre.
Doppelpunkt: Ein eigenes Kapitel widmen Sie dem Thema „Restless Legs", den ruhelosen Beinen in der Nacht. Was hat es damit auf sich?
Vorster: Das ist ein Thema, das vier Millionen Deutsche betrifft und worüber kaum jemand redet. Zehn Prozent der Frauen leiden sporadisch darunter, drei Prozent haben mit diesem Phänomen richtig zu kämpfen. Abends, wenn sie zur Ruhe kommen spüren sie ein ziehen, zerren, kribbeln, in den Beinen, welches nur weggeht wenn sie aufstehen und sich bewegen. Das Gegenteil von Schlafen.
Es ist die häufigste neurologische Krankheit nach der Migräne. Und doch warten viele Betroffene jahrelang, bis Ärzte die Krankheit richtig erkennen. Oft vermuten Ärzte ein Venenleidenden, dabei gibt es für „Restless Legs" sehr guten Behandlungsmöglichkeiten mit Eisenpräparaten und Dopamin-Agonisten. Beide unterstützen die Ausschüttung des Nervenbotenstoffs Dopamin der in den unteren Rückenmarkssegmenten Betroffener zu wenig ausgeschüttet wird.
Doppelpunkt: Was sind die gängigsten Mythen über den Schlaf? Vor Mitternacht ist es am besten?
Vorster: Es ist richtig, dass in den ersten drei Stunden der wichtigste Schlaf stattfindet. Da haben wir den meisten Tiefschlaf, der für die Erholungsfunktion des Körpers zum Beispiel durch die Ausschüttung von Wachstumshormon aber auch für das Immunsystems entscheidend ist. Ob diese ersten drei Stunden vor oder nach Mitternacht stattfinden, ist allerdings völlig gleichgültig.
Doppelpunkt: Was träumen Blinde?
Vorster: Menschen, die erst später im Leben erblinden, träumen weiterhin in Bildern. Wer ohne visuelles Vermögen geboren wurde, wird auch im Traum keine Bilder erleben, weil dieser Sinneseindruck fehlt. Trotzdem träumen Blinde, eben mit Gesprächen, Gerüchen oder Bewegungen. Insofern unterscheiden sich diese Träume nicht wesentlich von Sehenden. Wir werden im Traum nicht zu einem anderen Menschen. Nachts arbeitet das gleiche Gehirn, das tagsüber aktiv ist. Nur ist es im Schlaf eben anders vernetzt. Wodurch es zu kuriosen Verbindungen von Dingen kommt, die nicht zusammengehören.
Doppelpunkt: Sollte der Unterricht in Schulen später beginnen?
Vorster: Absolut. Schüler ab der Pubertät werden zu früh in die Schule geschickt, zu einem Zeitpunkt, an dem sie nicht lern- und aufnahmefähig sind. Ihr Schlafrhythmus verlagert sich genetisch nach hinten, ganz unabhängig von einem unterstellten „ungesunden Lebenswandel". Wenn wir im PISA-Test nur ein paar Punkte aufsteigen wollten, sollten wir die Schule ab der Mittelstufe einfach erst ab zehn Uhr beginnen lassen. Die wissenschaftlichen Studien sind dazu ganz eindeutig. Wenn die Schule später beginnt, fallen die Leistungen besser aus.
Doppelpunkt: „Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen. Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen" - hat Kant recht? Ist Schlaf das beste Drittel im Leben?
Vorster: Mir macht das Leben tagsüber am meisten Spaß. Im Schlaf bekomme ich nicht so viel vom Leben mit. Womit Kant recht hat: Wenn wir gut geschlafen haben, sind wir emotional ausgeglichener und nehmen die Welt positiver wahr. Wer sein Leben verschönern will, sollte auf seinen Schlaf achten - dann fühlt man sich einfach glücklicher und besser.
Doppelpunkt: Was ist Ihr bester Einschlaftipp - vielleicht gerade die Lektüre von Ihrem Buch?
Vorster: Ich hoffe, das Buch ist nicht so langweilig, dass man nach einer Seite gleich einschläft. (Lacht) Das wichtigste ist, mit einem entspannten Grundzustand ins Bett zu gehen. Wie man diesen Zustand erreicht, ist jedem selbst überlassen. Das kann ein heißes Bad, autogenes Training oder ein gutes Buch sein. Ich empfehle Handy und Laptop eine Stunde vor dem Einschlafen auszuschalten und damit Arbeit und emotionale Facebook-Unterhaltungen aus dem Schlafzimmer zu verbannen. Schlafen ist aktives Loslassen. Je entspannter wir sind, desto besser, tiefer und glücklicher schlafen wir ein.

Dieter Oßwald

 

Stand: 13.06.2019

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