Film
 

Willkommen in Siegheilkirchen

Willkommen in Siegheilkirchen

Kinostart: 7.7.; Regie: Markus H. Rosenmüller; Stimmen: Markus Freistätter, Roland Düringer

Eines muss man den Österreichern lassen: Kein anderes Volk hat so großartige Künstler hervorgebracht, die derart ätzend über die eigenen Landsmänner und -frauen herziehen wie die Alpenrepubliker, und das in einer sehr langen Tradition von Karl Kraus über Helmut Qualtinger und Thomas Bernhard zu Ulrich Seidl bis Alfred Dorfer. Und in dieser Aufzählung darf auch Manfred Deix nicht fehlen. Der 2016 verstorbene Karikaturist aus St. Pölten hielt über Jahrzehnten den Österrei-chern (und wesensverwandten Deutschen) den nicht immer verzerrten Spiegel vor. Die Zielpersonen des Mannes, von dem sogar Billy Wilder ein Fan war: der gemeine Spießbürger mit all seinen Ressentiments und Vorurteilen, jenen Typus also, den Thomas Bernhard in seiner unnachahmlich radikalen Art als jemanden definierte, der im Wesentlichen aus Katholizismus und Nationalsozia-lismus bestehe, nur eben in verschiedenen Gewichtsanteilen.
Wobei wir bei „Willkommen in Siegheilkirchen" wären, jenen ersten abendfüllenden österreichischen Animationsfilm, an dem Deix noch vor seinem Tod maßgeblich mitgewirkt hatte. Schließlich trägt die Geschichte durchaus seine autobiografischen Züge. In dem Kaff mit dem bezeichnenden Namen Siegheilkirchen hat es der Teenager, den alle nur Rotzbub nennen, in den 1960er-Jahren nicht leicht. Um ihn herum: (fast) nur Nazis und Trottel, vom rabiaten Pfarrer, dem versoffenen Polizisten bis zum rechten Friseur. Doch der Junge, dessen Eltern den örtlichen Gasthof betreiben, hat einen Weg aus dieser Spießerhölle gefunden: Mit seinen Zeichnungen kreiert er seine eigene Welt. Und in der kommt auch die wohlproportionierte Metzgergehilfin vor, pralle Zeichnungen von ihr vertickt der geschäftstüchtige Klassenkamerad gleich im ganzen Dorf – was dem Rotzbub viel Ärger einbringt. Doch viel wichtiger wird für ihn das hübsche Roma-Mädchen Mariolina – und der Umstand, dass zwei alte Dorfnazis Mariolas Familie in die Luft sprengen wollen.
Keine Frage: Der hier vorgeführte Humor mit aufplatzenden Aknepickeln, pubertären Fantasien und Menschen, die außen ebenso hässlich sind wie innen, der ist nicht jedermanns Sache. Doch das entspricht schon sehr dem Geist von Manfred Deix' Vorstellung einer derb-bitteren Satire – und regt mit seinen wunderbar animierten Figuren, der erstklassigen Vertonung in Wort und Musik (Soundtrack: Gerd Baumann) sowie dem liebevollen Setting bis in kleinste Details zu einem wiederholten Sehen an. Regie führte, zusammen mit dem Animationsprofi Santiago López Jover, der Oberbayer Marcus H. Ro-senmüller. Und dessen Debüt, die umjubelte Coming-of-Age-Komödie „Wer früher stirbt, ist länger tot" von 2006 ist in puncto Hauptfigur und Anarchie von „Willkommen in Siegheilkirchen" nicht weit entfernt – beide Filme sind ein derber Spaß mit einem großen Sinn für die Freiheit des Individuums.
Martin Schwarz

Stand: 24.05.2022

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