Film
 

Wie Oscar Wilde nach Bayern kam: Interview mit Rupert Everett ("In den Gängen")

Rupert Everett

Interview mit Rupert Everett zu seinem Regie-Debüt „The Happy Prince"
Filmstart: 24.5.

Als schwuler Schüler erlebte er 1982 in dem Bühnenstück „Another Country" an der Seite von Kenneth Branagh seinen Durchbruch. Zwei Jahre später spielte Rupert Everett diese Rolle erneut in der gleichnamigen Verfilmung, diesmal mit Colin Firth. Es folgten Filme wie „Dance with a Stranger", „Brille mit Goldrand", „Die Hochzeit meines besten Freundes" oder „Gefährliche Liebschaften". Schon immer war der Brite von Oscar Wilde fasziniert, in dessen Stücken er mehrfach auf der Bühne stand. In seinem Regiedebüt „The Happy Prince" erzählt der 58-Jährige nun von den letzten Jahren des irischen Autors. Über zehn Jahre hat es gedauert, bis das Projekt zustande kam. Finanziert wurde es schließlich von der Bayerischen Filmförderung – und gedreht in Oberfranken. Die Premiere fand auf der Berlinale statt. Mit dem Regisseur und Hauptdarsteller unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Mister Everett, wann kamen Sie zum ersten Mal in Kontakt mit Oscar Wilde?
Everett: Meine erste Begegnung mit Oscar Wilde war als sechsjähriges Kind. Meine Mutter hatte mir „The Happy Prince" vorgelesen, woran ich mich bis heute noch sehr gut erinnern kann. Diese Geschichte fand ich sehr bewegend, wenngleich ich damals natürlich längst nicht alles verstanden habe. Aber der Grundstein war gelegt.
Doppelpunkt: Wann wurde aus dem Grundstein das Gebäude? Auf der Schauspielschule?
Everett: Auf der Schauspielschule herrschte eher ein allgemeiner Widerwille gegen Wilde. Wir wollten als Studenten lieber wilder Sachen auf der Bühne machen: Frauen prügeln. Kinder ermorden. Mit Blut provozieren. Erst später entdeckte ich die Stärken dieses Autors. Meine erste Produktion von „Das Bildnis des Dorian Gray" wurde gleich zum Erfolg. In Paris folgte dann „Ernst sein ist alles". Da war mir klar: Wilde und ich, das passt gut zusammen!
Doppelpunkt: Was macht die Faszination für Sie aus?
Everett: Ich bekannte mich schon früh zu meinem Schwulsein bekannt und hatte in den 70er Jahre mein Coming Out. Offiziell war Homosexualität in England seit 1967 zwar nicht mehr verboten, aber es gab noch immer Razzien der Polizei und Diskriminierungen. Es gehörte zum schwulen Lebensgefühl, sich von der Gesellschaft ausgegrenzt zu fühlen. Diese Erfahrungen hatte Oscar Wilde ebenfalls durchlitten, weshalb er mich zunächst viel mehr als Person denn als Autor interessierte.
Doppelpunkt: Weshalb hat es zehn Jahre gedauert, bis dieses Projekt zustande kam?
Everett: Dieses Projekt erwies sich als schwierige Herausforderung, bei der ständig etwas schiefgehen. Ich hatte bisweilen das Gefühl, die ganze Welt hätte sich gegen mich verschworen. Irgendwann war eine Tod-oder-Leben-Situation erreicht. Ich war 54, dann 55, dann 56 und nichts bewegte sich. Ausgerechnet in diesem schwierigen Alter für jeden Schauspieler, denn man ist nicht mehr jung und noch nicht alt genug.
Doppelpunkt: In einer Bühnenversion von Ihnen gibt es freizügige Nacktszenen. Konnten Sie sich diese Freiheit für das Kino nicht erlauben?
Everett: Diese Bühnenversion habe ich nur deshalb gemacht, weil ich verzweifelt eine Finanzierung für die Verfilmung suchte und auf das Projekt aufmerksam machen wollte – was schließlich funktionierte. Im Stück gibt es tatsächlich etliche Nacktszenen – allerdings nicht mit mir! (Lacht) Im Film sieht man ebenfalls zwei, drei Nacktszenen, jedoch keinen Sex. Sex im Kino mag ich nicht.
Doppelpunkt: Weshalb haben Sie die Regie selbst übernommen?
Everett: Es war nie mein Plan, selbst Regie zu führen. Ursprünglich sollte mein Freund Roger Michell das übernehmen, aber er sprang wieder ab. Anschließend sprach ich mit acht bis zehn anderen Regisseuren, was zwei Jahr Zeit gefressen hat, weil es acht Monate dauert, bis ein Drehbuch gelesen ist. Am Ende hatten alle abgesagt und so blieben nur noch das Skript und ich übrig.
Doppelpunkt: Wie kamen Sie mit Ihrem Oscar Wilde nach Bayern?
Everett: Glücklicherweise bekamen wir großzügige Filmförderung aus Bayern – was allerdings bedeutete, dass 50 Prozent der Dreharbeiten dort stattfinden mussten. Oscar Wilde war jedoch nie in Deutschland. Wir mussten also Orte suchen, die als Kulisse für Frankreich funktionieren. Fündig wurden wir in Oberfranken in Thurnau bei Kulmbach. Das dortige Schloss diente als perfektes Studio für die Szenen im Gefängnis, dem Restaurant und im Hotel.
Doppelpunkt: Was hat es mit der Anekdote auf sich, dass Sie in Bayern sogar die Kirchenglocken verstummen ließen?
Everett: Mein Hotel lag direkt neben einer Kirche, deren Glocken jede Viertelstunde schlugen. Nach der ersten Nacht war ich völlig gerädert und verlangte wütend vom Bürgermeister, dass er dieses Geläut abstellen solle. Er meinte, die Glocken würden seit 1498 schlagen – aber hat sie schließlich abgestellt. Ich fühlte mich wie Lauren Bacall, die einst im englischen Chichester dasselbe Problem hatte und schließlich ihre Nachtruhe durchsetzte! (Lacht)
Doppelpunkt: Im Film gibt es eine Szene, in der Wilde wegen seiner sexuellen Orientierung angepöbelt wird. Hatten Sie ähnliche Erfahrungen?
Everett: Nein. Ich wurde nie angegriffen oder bedroht. Selbst in meiner Zeit in Glasgow, was damals als sehr gewalttätige Gegend galt, ist nie mehr passiert als ein paar harmlose Beschimpfungen.
Doppelpunkt: Glaube Sie, Wilde war ein angenehmer Zeitgenosse? Oder eher ein zynischer Grobian?
Everett: Nach allen Überlieferungen muss Wilde ein ausgesprochen unterhaltsamer Mensch gewesen sein. Sein Talent für das Geschichtenerzählen war außergewöhnlich, ein Abend mit ihm ein großer Spaß. Allerdings ist ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen, für zwei drei Jahre galt er schließlich als die berühmteste Person von England. Er bekam diese typischen Allüren eines Stars, der glaubt, die ganze Welt drehe sich nur um ihn. Da konnte er ein eitler Snob sein. Gleichzeitig sagen alle, er sei immer ein angenehmer Gesprächspartner gewesen.
Doppelpunkt: Hatten Sie ebenfalls jene typischen Allüren eines Stars?
Everett: Das Schwierige am Erfolg, insbesondere im Showgeschäft mit diesem immensen Erfolg, besteht darin, dass man glaubt, er würde nie enden. In gewisser Weise ging es mir da ähnlich wie Wilde. Aber im Unterschied zu ihm hatte ich nie das Gefühl, über dem Gesetz zu stehen.
Doppelpunkt: Was würden Sie Oscar Wilde fragen, wenn er nun zur Tür hereinkäme?
Everett: Ich bekäme vermutlich einen Herzanfall. (Lacht) Ich habe keine Ahnung, was fragen würde! Ich würde mich wohl schuldig fühlen, weil ich vielleicht ein paar Dinge nicht ganz richtig erzählt habe.

Dieter Oßwald

Stand: 15.05.2018

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