Film
 

Wie Trump zur Vorlage eines historischen Tyrannen wurde

Nikolay Arcel

Regisseur Nikolaj Arcel zum Mads Mikkelsen-Drama „King's Land"

Der Däne Nicolaj Arcel gilt als einer der gefragtesten Filmschaffenden von Skandinavien. Zu seinen Arbeiten gehört die preisgekrönte Adaption des Stieg Larsson-Bestseller „Verblendung". Als Autor und Regisseur fungierte er im Historiendrama „Die Königin und der Leibarzt", das auf der Berlinale den Silbernen Bären holte und für den Oscar nominiert wurde. Eher glücklos verlief der Ausflug nach Holly-wood, wo Arcel die Fantasy-Saga „Der Dunkle Turm" von Stephen King verfilmte. Zurück in seiner Heimat entstand nun das Historien-Drama „King's Land", in dem Mads Mikkelsen einen aufrechten Pionier verkörpert, der es gegen einen machtgierigen Politiker aufnehmen muss. Für seine Darstellung erhielt Mikkelsen den Europäischen Filmpreis, Dänemark schickte das Werk ins Oscar-Rennen. Mit dem Regisseur sprach unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Herr Arcel, was halten Sie vom Prädikat „Kartoffel-Western" für Ihren Film?
Arcel: Für mich ist es vor allem ein historisches Drama. Beim Wort Western reagieren viele Leute eher abgeschreckt, das Genre ist nicht besonders beliebt. Es gibt sicherlich Western-Elemente in „King's Land". Und es gibt auch Kartoffeln. Aber für mich ist das kein Kartoffel-Western.
Doppelpunkt: In dem historischen Drama geht es bisweilen recht ruppig zu, zugleich bezeichnen Sie „King's Land" als Ihren bislang persönlichsten Film?
Arcel: Mich fasziniert die Geschichte dieses Helden, der von seinen Ambitionen und seiner Karriere angetrieben wird. Bis er eine Familie entdeckt und die Liebe findet. Auch mein Leben bestand lange nur darin, Filme zu machen. Das hat sich vor drei Jahren mit der Geburt von meinem Sohn geändert. Zu jener Zeit las ich diesen brillanten Roman von Ida Jessen und erkannte, dass es viel mehr im Leben gibt als nur auf ein einziges Ziel hinzuarbeiten. Deshalb wurde es für mich zu einem sehr persönlichen Film, der nicht nur den Verstand, sondern zugleich das Herz anspricht.
Doppelpunkt: Ihr Hollywood-Ausflug verlief eher glücklos. Ist es schöner, in der Heimat bei Kälte und im Dreck zu drehen?
Arcel: Alles ist angenehmer als in Holly-wood zu drehen mit einem Studio im Rücken. Für mich war es eine Freude, diesen Film zu machen. Es war großartig, eine Geschichte zu erzählen, über die ich die Kontrolle hatte. Ich konnte meine Vision und meine Stimme umsetzen. Kälte und Dreck hielten sich in Grenzen, die Außenaufnahmen war in drei Wochen geschafft. Wer über harten Drehbedingun-gen klagt, muss sich einfach vor Augen halten, wie die Menschen im 18.Jahrhundert das ausgehalten haben, Damals gab es weder Strom und einen Cappuccino zwischendurch.
Doppelpunkt: Sie sind mit dem Berlinale-Gewinner „Die Königin und der Liebha-ber" bereits auf Zeitreise gewesen. Was interessiert Sie an historischen Themen?
Arcel: Für mich ist es faszinierend, in der Zeit zu reisen. Denn meine Heimat Dänemark ist ein Land, an dem nie etwas passiert. Wir leben glücklich und sicher und sind irgendwie neutral. Für einen dramatischen Stoff musst du in die Vergangenheit reisen. Es sei denn, du bist ein Regisseur, der intime Geschichten über Scheidung oder Krebs liebt. Mir liegt es mehr, wenn Geschichten etwas größer ausfallen. Bei „Die Königin und der Liebhaber" habe ich mich in diese Epoche verliebt. Wobei es diesmal nicht um reiche Leute geht, ganz im Gegenteil.
Doppelpunkt: Ein machtbesessener Politiker namens Schinkel entpuppt sich als ziemlich psychopathisch. Dienten aktuelle Präsidenten dabei als Vorlage?
Arcel: Diesen Grafen Schinkel hat es wirklich gegeben. Bei der Recherche gab mir ein Historiker den Rat: „Stellen Sie sich bei ihm einfach Trump vor." Dieser Graf hat Macht, er ist sehr von sich selbst eingenommen ist und er weigert sich, Fehler einzugestehen. Er behandelt Menschen ganz so, wie er will. Ich würde nicht sagen, dass Trump eine direkte Inspiration ist, aber er verkörpert auf gewisse Weise diese Art von Machtpolitiker.
Doppelpunkt: Wie viel historische Wahrheit steckt insgesamt in „King's Land"?
Arcel: Der Roman ist Fiktion, aber er basiert auf zwei Figuren, die es gegeben hat. Ludwig Kahlen ist eine reale Figur, ebenso Graf Schinkel, dessen Gut noch heute existiert. Er war berüchtigt dafür, grausam zu seinen Bauern zu sein. Er folterte und missbraucht die weiblichen Angestellten. Alle anderen Figuren entspringen der Fantasie.
Doppelpunkt: Die Gretchenfrage der Gewalt: Wie weit kann man gehen, um Folter zu zeigen?
Arcel: Wir zeigen die Gewalt ja nicht im Bild wie in einem Horrorfilm. Ich mag diese Art von Filmen nicht, in denen man sieht, wie ein Messer in jemanden eindringt oder Haut verbrennet. Bei uns beschränkt sich die Darstellung von Gewalt auf den Ton. Was durchaus verstörender wirken kann, weil sich das Publikum seine eigenen Vorstellungen dabei macht.
Doppelpunkt: Die zweite Gretchenfrage: Was macht die Qualität von Mads Mikkelsen aus?
Arcel: Mads machen zwei wesentliche Qualitäten aus. Zum einen gehört er zu den größten lebenden Talenten des Kinos, er ist einer der besten Schauspieler überhaupt. Zum anderen ist er ein unglaublich starker, kreativer Partner. Wenn er sich für dein Projekt entscheidet, übernimmt er nicht nur Verantwortung für seine eigene Figur, sondern für die gesamte Geschich-te. Er besitzt eine große Leidenschaft, alle Szenen gemeinsam zu entwickeln. Zudem ist Mads ein so netter und kluger Kerl, dass man es bei ihm fast mit einem Regieassistenten zu tun hat.
Doppelpunkt: Wie geht es weiter bei Ihnen? Wie ist der Stand von „Monster of Florence" mit Antonio Banderas?
Arcel: Das soll als TV-Serie entstehen, daran arbeite ich, wie schon bei „King's Land", wieder mit Anders Thomas Jensen als Ko-Autor.
Doppelpunkt: Wann wird KI als Ko-Autor aktuell für Sie? Wie optimistisch sehen Sie die künstliche Intelligenz im kreativen Bereich?
Arcel: Ich habe das selbst noch nicht ausprobiert, die bisherigen KI-Resultate von anderen Leuten haben mich allerdings nicht überzeugt. Aber wer weiß, was in zehn, fünfzehn Jahren der Fall ist. Eine der beängstigenden Dinge unserer Zeit ist die Ungewissheit über die Zukunft. Ver-gangene Generationen hatten eine Ahnung, was wahrscheinlich passieren würde. Vielleicht hattest du Angst während des Kalten Krieges, aber du wusstest immer, vermutlich wird dies und das passieren. Heute haben die Menschen buchstäblich keine Ahnung, was in den nächsten 20 Jahren passieren wird. Wir wissen es nicht, weil die künstliche Intelligenz und dieser Fortschritt unbekannt sind für den Durchschnittsmenschen. Und das ist schon beängstigend.

Dieter Oßwald

Stand: 05.06.2024

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