Film
 

„Der Liebe den Stinkefinger zeigen!“

Lars Montag

Interview mit Lars Montag zu „Einsamkeit und Sex und Mitleid"
Filmstart: 4.5.

Mit seinem „Tatort: Kassensturz" wurde Lars Montag für den Deutschen Fernsehpreis nominiert, seine beiden „Kluftinger"-Krimis ernteten Kultstatus und reichlich Lob. Nun folgt das Kino-Debüt mit der Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Helmut Krausser, der gemeinsam mit dem Regisseur auch das Drehbuch schrieb. Wie einem Kaleidoskop erzählen verschiedene Episoden überaus einfallsreich und vergnüglich provokant von der Liebe in neurotischen Zeiten. Mit dem Regisseur unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Herr Montag, der Titel klingt nach Nationalhymne - ist Ihr Film eine Bestandsaufnahme der Liebe im Land?
Montag: Diesen Titel hat Helmut Krausser bereits für seinen Roman verwendet. Ihm lag durchaus daran, mit diesem Buch einen Querschnitt der Liebe in Deutschland zu präsentieren. In einer Rezension stand damals, dem Roman würde es gelingen, der Liebe den Stinkefinger zu zeigen - das haben wir ein bisschen auch als Motto für die Verfilmung übernommen.
Doppelpunkt: Hieß der Film nicht ursprünglich „Hummeln im Bauch"?
Montag: „Hummeln im Bauch" war ein reiner Arbeitstitel, um potentielle Motivgeber nicht zu verschrecken. Bei einem Film mit „Sex" im Titel, wird einem recht schnell die Türe zugeschlagen. Aus diesem Grund hatten auch andere Filme wie zum Beispiel „Feuchtgebiete" während der Produktion einen ganz anderen, harmlosen Titel.
Doppelpunkt: „Pleiten, Pech und Pannen" könnte ein anderer Titel sein, die Figuren im Film sind fast allesamt am Scheitern. Wären Sie mit dem Prädikat „Feel Bad Movie" einverstanden?
Montag: Überhaupt nicht, Menschen beim Scheitern zuzuschauen kann schließlich großen Spaß machen. Zumal es ganz gute Chancen gibt, sich in diesen Figuren wieder zu erkennen. Insofern wäre mein Vorschlag für ein Prädikat: „Feel true and laugh about myself movie".
Doppelpunkt: Also doch eine Komödie?
Montag: Ich finde die Genre-Frage echt schwierig. Der ganze Film ist mit seinen emotionalen Wechselbädern ja eher wie eine Kneippkur: Lacher - Schlag ins Gesicht - Lacher - Schlag ins Gesicht. Diese Unglaublichkeit, die dabei entsteht, und die Wahrhaftigkeit, die ich dabei empfinde, die waren das Ziel. Das Leben hat kein Genre. Zumindest meins nicht
Doppelpunkt: Muss man sich Lars Montag wie seine Film-Figuren ebenfalls als selbstoptimierten Single vorstellen?
Montag: Ich bin weder Single noch selbstoptimiert, aber ich kenne diese Themen durchaus. Im Prinzip bin ich Pate aller Figuren, wenngleich mein Leben natürlich so nicht aussieht. Die Beweggründe sämtlicher Charaktere sind vermutlich niemandem fremd. Es ist wie bei einem Verstärker: Wir haben die Lautstärke, die Amplitudenausschläge zwar etwas hochgedreht, aber den Grundton der Welle, den kennen wir alle.
Doppelpunkt: Wie behält man bei dieser großen Zahl von Figuren den Überblick?
Montag: Am Anfang stand die Beschränkung: Von den 30 Hauptfiguren im Roman sind im Film nur noch ein Dutzend übrig. Bei der Figurenentwicklung habe ich mich an den „Grundformen der Angst" des Psychoanalytikers Fritz Riemann orientiert und dessen verschiedene Persönlichkeitstypen auf die Schauspieler bzw. Rollen verteilt. Recht aufwändig gestaltete sich der Schnitt, weil jede Szene an jeder Stelle stehen konnte. Entscheidend war es, stets den emotionalen Zugang zu bewahren. Deswegen haben der Cutter und ich uns sogar eine Pause von zwei Monaten gegönnt, um danach wieder frisch anzufangen.
Doppelpunkt: Hatten Sie keine Angst, den Zuschauer zu überfordern?
Montag: Nein. Ich finde Überforderung grundsätzlich besser als Unterforderung. Überforderung macht neugierig, Unterforderung verärgert. Mich zumindest.
Doppelpunkt: Rassismus in politisch unkorrekter Art zu präsentieren, ist nicht ganz unprovokativ. Wie heikel gerät diese Gratwanderung?
Montag: Unser Ziel bei diesen Szenen war eine größtmögliche Ambivalenz herzustellen. Wäre die schwarze Fitness-Trainerin eine wahnsinnig nette Frau, hätte das sehr flach gewirkt. Indem sie aber selbst so einen harschen Ton hat, wirkt die Anmache des Rassisten viel zwiespältiger. Genau diese Ambivalenz zwingt den Zuschauer, sich zu verhalten - und genau da wird es spannend.
Doppelpunkt: In einer Szene macht sich der junge Moslem einen Spaß daraus, eine fingierte Kofferbombe zu werfen und sich zu filmen - sind da die Grenzen nicht überschritten?
Montag: Auf YouTube gibt es Hunderte solcher „bomb prank videos", die enorme Klickzahlen haben. Insofern entspricht diese Szene durchaus der Wirklichkeit. Nach 15 Jahren Arbeit für das Fernsehen haben sich viele Dinge angesammelt, die ich so nicht erzählen durfte. Diese Schubkarre voller Ideen habe ich jetzt in diesen Film entleert.
Doppelpunkt: Gehören auf diese Schubkarre auch die Sex-Sequenzen? Wie heikel ist der Dreh von Nacktszenen?
Montag: Am Anfang von Nacktszenen heißt es immer „closed set" und „alle raus!" wenn die Darsteller im Bademantel erscheinen. Nach einer halben Stunde jedoch hat sich das völlig entspannt, die Schauspieler stehen nackt beim Catering oder plaudern mit dem Tontechniker, weil sie keine Lust haben, sich etwas anzuziehen. Es tritt also schnell eine unglaubliche Gewöhnung ein. Bei uns kam allerdings das Ordnungsamt vorbei, das von Anwohnern alarmiert wurde, die glaubten, es würde ein Porno gedreht. (Lacht)
Doppelpunkt: Der Sex im Film ist alles andere als harmonisch oder schön.
Montag: Es kommt immer darauf an, wie Sex eingebettet ist. Innerhalb echter Liebe ist Sex der Himmel selbst. Aber bei uns ist Sex, wie auch im Titel, im Sandwich zwischen Einsamkeit und Mitleid eingeklemmt. In diesem Kontext ist Sex nur ein verzweifelter Versuch von Selbstbespiegelung, verbunden mit Triebabfuhr.
Doppelpunkt: Den bitteren Schluss versüßen Sie mit einer abgewandelten Version von Peter Maffays Sommerhit „Du" - wie belastend sind die Kosten der Rechte für das Budget?
Montag: Peter Maffay hatte uns abgesagt, weil er nicht immer auf seine alten Schlager festgenagelt werden möchte. Die gute Nachricht war, dass „Du" von Peter Orloff geschrieben und ursprünglich auch gesungen wurde. Der wiederum war ganz begeistert von unserer Idee und hat uns einen sehr fairen Preis gemacht.
Doppelpunkt: Wie geht es mit ihrem Kult-Krimi „Kluftinger" weiter?
Montag: Gar nicht! Die ARD ist mittlerweile ganz rigoros: Wer den Quoten-Schnitt erreicht, macht weiter, wer darunter liegt, der fliegt. Wir bekamen zwar gute Kritiken für unsere Allgäuer Krimis, aber haben die 14 Prozent am Donnerstagabend nicht erreicht, deswegen ist Schluss mit „Kluftinger".
Doppelpunkt: Aber dem „Tatort" bleiben Sie treu?
Montag: Der „Tatort" ist ein großartiges Gefäß, in das man ganz unterschiedliche Dinge einfüllen kann und erzählerisch etwas riskieren darf. Beim „Tatort" sind die Redakteure am mutigsten, weil die hohen Zuschauerzahlen ja quasi garantiert sind.
Dieter Oßwald

Stand: 10.04.2017

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