Film
 

„Unsere Kinder mögen ‚Hook’ am liebsten.“

Steven Spielberg

Interview mit Steven Spielberg zu „BFG – Big Friendly Giant"
Filmstart: 21.7.

Er gehört zu den Regie-Legenden von Hollywood, die Filme von Steven Spielberg gelten längst als Klassiker. Ob „Der weiße Hai", „E.T. - Der Außerirdische", „Jurassic Park" oder „Indiana Jones". Neben solchen Popcorn-Spektakeln war Spielberg auch stets für seriöse Stoffe gut. In „München" schilderte der den Terroranschlag während der Olympiade, in „Lincoln" präsentierte er die Biografie des US-Präsidenten. Mit „Schindlers Liste" schließlich setzte er Oskar Schindler ein Denkmal, der mehr als tausend Juden vor dem Vernichtungslager Auschwitz rettete. Im Anschluss an den Film gründete Spielberg die „Shoah Foundation", die Schilderungen von 2.000 Überlebenden des Holocaust archiviert. Mit seinem neuen Film „BFG - Big Friendly Giant" präsentiert der Regisseur die Verfilmung eines Kinderbuchs von Roald Dahl, in dem ein kleines Mädchen von einem freundlichen Riesen entführt wird. Die Premiere gab es in Cannes. In der Suite des dortigen Carlton-Hotels hielt Spielberg, der im Dezember 70 wird, Interview-Audienz. „No politics, please!" ermahnt seine Pressefrau. Auf die Minute pünktlich erschien er dann, der nach Kassenergebnis erfolgreichste Regisseur der Welt. Hellblauer Pullover, Jeans, sympathisches Lächeln. Und nicht nur im Kino, auch beim Interview, ein guter Geschichtenerzähler.

Doppelpunkt: Mister Spielberg, in diesem Jahr werden Sie 70. Ist das die richtige Zeit, um zum ersten Mal ein Märchen wie „BFG" zu verfilmen?
Spielberg: Ich habe noch nie Märchen verfilmt, „BFG" bedeutet damit für mich ein ganz neues Genre. Bei einem historischen Film wie „Amistad", „Lincoln" oder „Schindlers Liste" kommt es auf die Fakten an, da fühle ich mich wie ein Journalist mit der Kamera und muss meine Fantasie unterdrücken. Im Unterschied dazu kann ich hier meiner Vorstellungskraft völlig freien Lauf lassen, nicht umsonst haben wir beim Dreh uns häufig über unsere Träume unterhalten.
Doppelpunkt: Ist Fantasie nicht der Betriebsstoff eines Steven Spielberg?
Spielberg: Ich habe etliche Filme gemacht, bei denen ich meine Vorstellungskraft unterdrücken musste und kenne dieses Hunger-nach-Fantasie-Gefühl sehr gut. Dieses Gefühl war dieses Mal besonders groß, weswegen ich sehr dankbar war für ein Projekt wie „BFG", bei dem ich alles erfinden konnte, was ich wollte. In gewisser Weise hat mich dieser Film zu meinen Wurzeln zurückgebracht.
Doppelpunkt: Wollten Sie diesen Film nicht schon 1993 machen? Warum hat es so lange gedauert?
Spielberg: Das war die Idee meiner Partnerin Kathy Kennedy, die die Filmrechte von Roald Dahl erworben hatte und Melissa Mathison mit dem Drehbuch beauftragte. Wir drei hatten ja bereits gemeinsam an „E.T. – Der Außerirdische" gearbeitet. Danach habe ich mich allerdings um meine eigenen Filme gekümmert und wusste gar nichts von diesem Plan zu „BFG". Erst als Kathy später damit zu „Dreamworks" kann, erfuhr ich davon. Nachdem ich die ersten Drehbuchentwürfe gelesen hatte, sagte ich zu meiner Frau: ‚Diesen Film muss ich drehen! Ich weiß gar nicht genau weshalb, aber ich muss dieses Projekt unbedingt machen.'.
Doppelpunkt: Bringt einen die Magie des Kinos zurück in die Zeit der Kindheit?
Spielberg: Absolut. Das Kino bietet die Möglichkeit, solche Erinnerungen aus der Kindheit in uns wachrufen. Solche Gefühle kann man in sich wachrufen, in dem man seine eigenen Kinder einmal genauer beobachtet. Oder indem man sich einen Film anschaut, der einen daran erinnert, wie es damals als Kind gewesen ist. Ich habe in meiner Karriere sehr oft mit Kindern gearbeitet. Für mich ist das immer eine wunderbare Erfahrung, weil Kinder einfach wahrhaftig sind.
Doppelpunkt: Welchen Einfluss haben Videogames auf den Filmgeschmack von Jugendlichen?
Spielberg: Der Einfluss scheint mir gering. Auch Kids, die gerne Videogames spielen, werden sich mit Vergnügen einen Film wie „BFG" anschauen. Ich selbst war schon immer ein großer Fan von Videogames und spiele sie bis heute noch leidenschaftlich gerne. Von „Assassin's Creed" über „Black Ops" bis „Call of Duty" habe ich alle Level gespielt. Früher hatte ich einige Jahre selbst eine Firma, die Videogames entwickelt.
Doppelpunkt: Wie hat sich Ihre Liebe zum Kino entwickelt?
Spielberg: Als Kind habe ich mich in die Filme von Walt Disney verliebt. Später auf dem College habe ich dann Truffaut entdeckt und war begeistert. Das französische Kino hatte für mich schon immer eine große Bedeutung, den Brüdern Lumiere verdanken wir schließlich die Geburtsstunde des Films. In Amerika wird gerne behauptet, wir hätten das Kino erfunden. Tatsächlich jedoch ist Frankreich das Land, in dem alles begann.
Doppelpunkt: Gilt künstlerische Freiheit nicht als ziemliches Luxusgut in der Traumfabrik?
Spielberg: Das stimmt, viele Regisseur beklagen, dass irgendwelche Manager oder Gremien letztlich über ihre Filme entscheiden. Alle Filmemacher träumen davon, ihre eigenen Vorstellungen ohne Einmischung umzusetzen. Als Student ist jeder glücklich, wenn er später überhaupt einen Job bekommt. Da dreht man auch gerne Werbung oder kleine Videoprojekte. Wenn man allerdings ersten Film gemacht hat und erlebt, wie die Zuschauer reagieren, dann wird man gierig. Und möchte fortan nur noch sein eigenes Ding machen.
Doppelpunkt: Ist das Filmemachen für junge Regisseur heute einfacher als zu Ihrer Zeit?
Spielberg: Für junge Regisseure ist es heute einfacher als je zuvor, einen Job zu bekommen. Der Bedarf nach filmischen Inhalten in den verschiedenen Medien ist enorm. Andrerseits ist es heute schwieriger, unabhängig zu sein. Es sei denn, man findet Leute für die Finanzierung, die einem völlig vertrauen und die künstlerische Freiheit lassen.
Doppelpunkt: Dem Kino stehen schwere Zeiten bevor, sagen etliche Experten. Netflix und Co würden den Tod vieler Lichtspielhäuser bedeuten. Wie sehen Sie die Lage?
Spielberg: Wir Menschen sind soziale Wesen, die gerne zusammen etwas tun. Es wird bei den Formen, wie man Filme schaut, sicher viel Konkurrenten geben - aber dieses gemeinsame Erleben in einem Kinosaal bleibt einzigartig. In den frühen 50-er Jahren hat das Fernsehen das Kino bedroht. Heute sind die sozialen Medien unserer Rivalen. Dennoch führt an einer gemeinschaftlichen Erfahrung kein Weg vorbei. Schauen Sie nur, wie viele neue Kinos derzeit in China entstehen: Das sind einige Tausende in jedem Jahr. Das ist doch grandios!
Doppelpunkt: Was halten Sie von neuen Verwertungsformen wie „Screening Room", bei denen gleichzeitig zum Filmstart die Filme bereits online verfügbar sind?
Spielberg: Es gibt noch keine verlässlichen Daten für ein pro oder contra bei diesem Modell sprechen. Es gibt viele mittlere und kleinere Filme, für die das Publikum einfach nicht ins Kino geht, sondern abwartet, bis es sie es zu Hause sehen kann. Das gilt zum Beispiel auch für „Bridge of Spies". Den hätten sich einige sicher angeschaut, wenn er sofort für sie verfügbar gewesen wären. Ins Kino wären sie dafür jedoch nicht gegangen. In den US-Kinos hat „Bridge of Spies" rund 73 Millionen Dollar eingespielt, mit der zusätzlichen Verwertung „Screening Room" hätten es vielleicht 100 Millionen Dollar werden können. Aber ich weiß nicht, ob dieses Modell tatsächlich funktioniert – das muss man abwarten.
Doppelpunkt: Den meisten Leuten dürfte beim Namen Spielberg sofort eine Filmszene einfallen. Was wäre Ihre persönliche Lieblingsszene aus all Ihren Werken?
Spielberg: Solch eine Lieblingsszene habe ich nicht. Ebenso wenig erkläre ich, was mir persönlich der liebste meiner Filme ist. Am meisten erreicht habe ich ganz sicher mit „Schindlers Liste", dieser Film hatte auch lange danach noch eine enorme Wirkung. Daraus ging meine Stiftung der „Shoah Foundation" hervor, die Schilderungen von über 2.000 Überlebenden des Holocaust aufgenommen archivierte, um sie nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen. Dieser Film hat viel erreicht in Sachen Toleranz und der Sensibilisierung für die Gefahren von Hass und Genozid.
Doppelpunkt: Wie schwierig war es für Sie, nach „Schindlers Liste" einen nächsten Film zu machen?
Spielberg: Nach „Schindlers Liste" hatte ich kein Bedürfnis, einen weiteren Film zu drehen und habe eine Pause von drei Jahren eingelegt. Das ist mir zuvor noch nie passiert. Aber ich musste zunächst mit dem Trauma, den dieser Film für mich bedeutet hatte, zurechtkommen. Gleichzeitig aber auch mit der Freude, die sich durch die erfolgreiche Gründung der „Shoah Foundation" eingestellt hatte.
Doppelpunkt: Wie hat sich für Sie Ihre Arbeit als Regisseur verändert?
Spielberg: Filmemachen ist rein körperlich gesehen eine sehr anstrengende und ermüdende Arbeit – für mich ist das der härteste Job der Welt! Gleichzeitig ist mein Appetit immer mehr gewachsen und nicht kleiner geworden. Je mehr ich arbeite, desto mehr möchte ich arbeiten.
Doppelpunkt: Mit welchen Gefühlen sehen Sie Ihre frühen Filme? Werden Sie nostalgisch, wenn Sie „Duell" zufällig im Fernsehen sehen?
Spielberg: Ich habe „Duell" sehr, sehr lange nicht mehr gesehen, und zwar aus Absicht und nicht aus Zufall. Ich schaue mir meine Filme nur an, wenn eines meiner Kinder ihn sehen möche. Ich habe „E.T. – Der Außerirdische" sieben Mal gesehen, weil jedes unserer sieben Kinder ihn anschauen wollte. Inzwischen kamen noch zwei weitere Vorführungen hinzu für die beiden Enkel.
Doppelpunkt: Ist „E.T. – Der Außerirdische" der Lieblingsfilm Ihrer Kinder?
Spielberg: Unsere Kinder mögen „E.T – Der Außerirdische" und die „Indiana Jones"-Filme. Aber vor allem lieben sie „Hook" – das ist schon verrückt.
Doppelpunkt: Wie weit inspirieren Sie Ihre Kinder für Ihre Filme?
Spielberg: Es ist nicht so, dass die Fantasie meiner Kinder mich unmittelbar zu einem Film inspiriert hätte. Durch das Erleben, wie sie größer werden, habe ich allerdings sehr viel über mich selbst gelernt. Durch meine Kinder bekam ich das Gefühl, relevant zu bleiben. Durch sie erfahre ich, was in aktuell passiert und angesagt ist. Ob in sozialen Medien, in der Musik oder auch im Kino. Wenn meine Kinder mir einen Film empfehlen, schaue ich mir den sofort an – und in den meisten Fällen haben sie recht.
Doppelpunkt: Welchen Ihrer Filme finden Sie nicht ganz so gelungen, wie Sie es sich vorgestellt hatten?
Spielberg: Das sage ich lieber nicht, denn mit solch einer Aussage würde ich doch alle jene Zuschauer enttäuschen, die gerade diesen Film lieben, mit dem ich persönlich nicht zufrieden bin. Früher habe ich solche Dinge bisweilen geäußert, aber das mache ich schon lange nicht mehr.

Dieter Oßwald

Stand: 14.07.2016

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